Das sind natürlich gerade rhetorische Fragen, um den Dir den Raum zu öffnen, denn ich persönlich habe dazu sehr viele Ansichten und Gedanken. Ein paar davon möchte ich heute mit Dir teilen.
Wann haben wir angefangen, unsere Erfahrungen und Gefühle als etwas zu betrachten, das wir "korrigieren" müssen?
Vielleicht war es der Moment, als wir anfingen, unsere innere Welt mit denselben Maßstäben zu messen wie die äußere?
Der Moment, in dem das uns zutiefst prägende kapitalistische System auch unsere Seelen kolonisiert hat?***
Heute scheint Heilung weniger ein Weg der Selbstfindung zu sein - sondern mehr ein Ziel, das es zu erreichen gilt.
Ein Ziel, das uns in Programmen, Coachings und Seminaren, Therapien, Retreats, Heilsessions... verkauft wird –
oft für viel Geld.
Schau Dich um: Heilung wird beworben wie ein Fitnessprogramm, das Dir verspricht, endlich den perfekten Körper zu haben. Nur geht es hier nicht um Muskeln, sondern um Dein Innerstes. „Heile Dein inneres Kind!“, „Löse Deine Blockaden!“, „Werde frei von alten Glaubenssätzen!", "Löse Deine Traumata auf.“ – diese Versprechen klingen verlockend.
Und hier meine Frage: Welche Worte hast Du über Heilung gelernt?
Denn all das sind Sätze, die Dir erstens versprechen, dass es einen Punkt gibt, an dem Du „fertig“ bist und Dir zweiten mitteilen, dass es dafür aber noch was zu tun gibt.
Sätze, die Dir sagen, dass Du nur noch diesen einen Prozess durchlaufen, diesen einen Durchbruch haben, diese eine Schicht tiefer gehen musst – und dann endlich…
Ja, was dann? Dass Du dann heil bist? Dass Du dann endlich gut genug bist?
Dass Du dann endlich richtig bist? Dass dann alles Sonnenschein ist und sich Deine Lebendigkeit nur noch auf Freude und Einklang beschränkt und bestimmte Gefühle nicht mehr Teil Deines Seins sein werden?
Doch was, wenn genau diese Sätze und die Ideen dahinter, Dich gefangen halten?
Denn was steckt dahinter - hinter diesen Sätzen?
Das zutiefst kapitalistische Narrativ: "Du bist noch nicht genug. Du brauchst noch etwas."
Die Idee, dass wir „etwas an uns reparieren“ müssen, wurzelt in genau diesem Narrativ, das uns seit vielen Jahrzehnten prägt:
„Du bist nicht genug.“
Dieses Narrativ ist die Grundlage des Kapitalismus und einiger anderer Systeme.
Es treibt uns an, mehr zu kaufen, mehr zu erreichen, besser zu sein. Es sagt uns, dass wir erst glücklich sein können, wenn wir etwas Bestimmtes besitzen – sei es ein neues Auto, eine erfolgreiche Karriere oder die perfekte Beziehung.
Und dieses Narrativ wirkt ebenso in der Coaching- und Heilungsszene - ja auch und leider in der "Spiritualitätsszene", die gerade so boomt - und die meisten sind sich darüber gar nicht bewusst.
Dieses Narrativ verkauft uns die Idee, dass wir erst heil sind, wenn wir unsere „Traumata gelöst“, unsere „Muster durchbrochen“ und unsere „Ängste überwunden“ haben.
Doch was ist die Folge davon?
Wir jagen einer "Perfektion" hinterher, die es nicht gibt.
Wir versuchen, uns selbst zu optimieren, bis wir irgendwann feststellen:
Diese Idee von Heil-Sein und der Wunsch, dieser Idee zu entsprechen, macht uns kränker und klein
und nicht gesund und kraftvoll.
Worte sind nie neutral. Sie tragen eine immer Botschaft, manchmal offen, manchmal versteckt.
Und die Worte, die in der Persönlichkeitsentwicklung und Heilungsszene vorwiegend verwendet werden, haben eine tiefgreifende Wirkung – oft ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Selbst viele Coaches und Heilarbeiter hinterfragen ihre Wortwahl nicht, die so entscheidend dafür ist, was Menschen glauben oder nicht glauben, mit denen sie arbeiten. Dafür, was im Inneren geschieht. Insbesondere in einer emotionalen Situation, in der Menschen um Unterstützung bitten.
„Ich muss meine Angst loswerden. Ich muss dieses Trauma endlich auflösen. Ich muss an meinen Glaubenssätzen arbeiten, damit ich endlich heil bin.“
Kennst Du solche Gedanken? Vielleicht hast Du sie selbst schon gedacht oder sie wurden Dir gesagt.
Viele meiner Klient:innen kommen mit genau solchen Sätzen zu mir – und genau solchen Glaubenssätzen über Heilung. Manchmal haben sie Jahre in Coachings, Therapien oder spirituellen Programmen verbracht, um endlich „heil“ zu werden.
Endlich etwas an sich „aufzulösen“, das sie als falsch, störend oder sogar als defekt empfinden.
Doch weißt Du, was dabei oft passiert?
Dieser Wunsch auf diese Art „heil“ zu werden, führt nicht zu Heilung. Er führt zu mehr Schmerz.
Denn er führt zu einem ständigen inneren Kampf – gegen sich selbst, gegen die eigenen Gefühle, gegen die eigenen Anteile.
Um so wichtiger, dass Therapeuten, Heiler und Coaches sich dieser Wirkung ihrer Worte und Sätze bewusst werden.
Ja, auf den ersten Blick klingen diese Sätze ja korrekt. "Wir alle wissen ja, was damit gemeint ist!" höre ich dann meistens.
"Diese Sätze meinen doch, dass wir uns weiterentwickeln und vorankommen wollen, nimm das doch nicht so wörtlich."
Meine Wahrheit ist - und die unseres Körpers, unseres Nervensystems, unseres Unterbewusstsein -
diese Sätze sagen etwas anderes:
Dass wir so, wie wir sind, nicht genug sind.
Dass wir erst heil sind, wenn wir etwas von uns „wegmachen“ - auflösen ist übrigens nur ein netteres Wort für wegmachen - "hinzufügen" oder „überwinden“.
Diese Sprache signalisiert unserem Unterbewusstsein und unserem Nervensystem: „Etwas an mir ist falsch. Etwas muss verändert werden.“
Die Wirkung dieser Worte geht tiefer, als wir vielleicht denken. Unser Gehirn reagiert auf Sprache – nicht nur emotional, sondern auch biologisch. Das ist ein wissenschaftlicher Fakt. Worte wie „auflösen“, „brechen“ oder „überwinden“ aktivieren unser Stresszentrum, die Amygdala. Sie signalisieren dem Nervensystem: Hier gibt es eine Gefahr, die beseitigt werden muss.
Und das bringt uns in einen Alarmzustand. Ganz körperlich ist dieser real - auch wenn wir doch was anderes meinen als wir sagen.
Unser Unterbewusstsein nimmt Worte und deren zugrunde liegende Bedeutung wörtlich. Es unterscheidet nicht zwischen Absicht und Aussage, sondern reagiert direkt auf das, was gesagt wird.
Und... all diese Sätze... sie sind gerade einfach überall.
Doch weißt Du was?
Heilung geschieht nicht in einem Zustand des Kampfes. Heilung geschieht nur in einem Zustand von Sicherheit und Geborgenheit.
Sie geschieht, wenn sich Dein parasympathisches Nervensystem aktivieren kann – der Teil, der für Entspannung, Regeneration und Integration verantwortlich ist. Dafür brauchen wir eine andere Sprache. Eine Sprache, die unser Nervensystem beruhigt. Eine Sprache, die unser Innerstes nicht in den Widerstand bringt, sondern uns einlädt, mit uns zu sein.
Es braucht Worte, die unser Nervensystem beruhigen, nicht alarmieren.
Wenn wir Worte wie „annehmen“, „erlauben“ oder „begrüßen“, "entdecken"... verwenden, wird nämlich ein anderer Teil des Nervensystems aktiviert: Der ventrale Vagusnerv, der für Entspannung und Verbundenheit sorgt.
Diese Worte schaffen Raum für Heilung – ohne Druck, ohne Kampf.
Ich erinnere mich an einen Moment. Ich saß in meinem Garten, beobachtete einen Schmetterling, der sich aus seinem Kokon befreite. Niemand sagt zu ihm: "Du musst deine Kokonphase überwinden!" oder "Lass uns deine Raupenblockaden lösen!" Er durchlebte einfach seinen natürlichen Prozess. Und der sah sehr anstrengend aus. Er ist daran gewachsen und hat sich entfaltet. Im wahrsten Sinne.
Doch warum wird genau diese Sprache so häufig verwendet?
Die Worte, die wir wählen, sind kein Zufall. Sie sind das Echo einer Welt, die uns permanent sagt, dass wir nicht genug sind. Sie sind Teil eines Narrativs, das uns glauben lässt, dass wir uns selbst optimieren müssen, um endlich gut zu sein. Und genau das ist der Punkt, an dem Heilung zum Kapitalismus wird. Denn wenn wir ständig nach dem nächsten Schritt suchen… nach dem nächsten Kurs, der nächsten Technik, dem nächsten „Durchbruch“… Dann bleiben wir immer in der Spirale der Selbstverbesserung gefangen. Heilung wird zum Konsumgut. Heilung wird zu einem unerreichbaren Ziel, statt zu einer Erfahrung, die wir bereits in uns tragen. Und jedes Mal, wenn Du sagst „Ich muss das noch auflösen“ oder „Ich muss das noch loslassen“, verstärkst Du genau das Gefühl, dass es noch nicht genug ist.
Und warum greifen selbst all die wirklich gut gemeinte Heilungsangebote zu Begriffen wie „aufösen“, „überwinden“ oder „durchbrechen“?
Auch Coaches, Therapeut:innen und spirituelle Lehrer:innen sind Teil des Systems und der kollektiven Prägung.
Sie wollen ja helfen, sie wollen Menschen in ihre Kraft bringen – doch bedienen sie sich einer Sprache, die genau das Gegenteil bewirkt... ja, weil sie mittendrin sind im diesem Wirkungsfeld und der so tief im Kollektiv wohnenden Idee von Heilwerden-Müssen - und den meisten ist das nicht bewusst.
So nutzen sie zumeist unbewusst dieselben Mechanismen, die auch die bestehenden Systeme nutzen und bestätigen damit das System, dass sie wahrscheinlich gar nicht mehr wollen.
All diese Mechanismen und Dogmen und all die für uns so normal gewordenen und immer wieder daher gesagten Sätze und Glaubenssysteme in Bezug auf Heilung erzeugen das Gefühl in uns Allen, dass es „noch nicht genug ist“.
Dass erst „dieses Trauma aufgelöst“ oder „jenes Muster durchbrochen werden“ muss, bevor wir glücklich sein können.
Diese Dynamik verstärkt die Trennung von uns selbst und den Kampf gegen uns und unsere Gefühle, unsere inneren Anteile, unsere vermeintlichen Schwächen... - anstatt die Verbindung und Annahme unserer Selbst im jetzigen Moment zu erlauben.
Was wäre, wenn wir dieses Narrativ durchbrechen könnten?
Wenn wir Heilung nicht mehr als etwas betrachten, das wir „erreichen“ müssen, sondern als etwas,
das bereits IST?
Denn die Wahrheit ist: Heilung ist kein Ziel. Sie ist ein Zustand. Heilung IST der Moment der Annahme, was ist.
Wahre Heilung geschieht, wenn wir aufhören zu kämpfen.
Wenn wir aufhören, etwas an uns verändern zu wollen.
(Und damit meine ich nicht, keine Wünsche oder Visionen für sich und das eigene Innen- und Außenleben zu haben
und danach zu streben.)
Auch ich habe lange geglaubt, dass Heilung bedeutet, etwas in mir zu „reparieren“. Ich dachte, ich müsste meine Ängste loswerden, meine Wunden schließen und die dazugehörigen Narben verschwinden lassen. Ich wollte alles in mir „perfekt“ machen, weil ich überzeugt war, dass ich erst dann heil und ganz sein könnte. Doch je mehr ich kämpfte, desto mehr fühlte ich mich getrennt – von mir selbst, von meinem Leben und von meiner Kraft. Jede Methode, die mir versprach, „Blockaden zu lösen“ oder „alte Muster zu überwinden“, fühlte sich an wie ein weiterer Beweis dafür, dass ich nicht gut genug war, so wie ich bin. Dass ich noch irgendwas erreichen muss, um endlich leben zu können.
Irgendwann kam der Moment, in dem ich erkannte: Heilung bedeutet nicht, etwas zu reparieren. Heilung bedeutet, mich mit allem anzunehmen, was ich bin. Das Licht. Den Schatten. Die Wunden. Die Narben. Alles. Und in jeder Erfahrung, die ich mal als etwas NEGATIVES bewertet habe, in jedem Gefühl, dass mich herausfordert, die Kraft zu entdecken, die darin wohnt.
Wahre Heilung geschieht, wenn wir mit allem sind, was in uns lebt.
Heilung ist nicht das Loswerden von Schmerz. Sie ist das Annehmen des Schmerzes.
Sie ist das Erkennen, dass alles Alles ist. Dass es kein Gut oder Schlecht, Richtig oder Falsch in unserem Innenleben gibt.
Sie ist das Wissen, dass wir ganz sind, auch wenn wir verletzt sind.
Lass uns die Sprache der Heilung verändern. Lass uns Worte wählen, die nicht trennen, sondern verbinden.
Statt „Ich muss meine Angst loswerden“ - „Ich begrüße meine Angst und nutze ihre Kraft und Weisheit für mich..“
Statt „Ich muss an mir arbeiten" - „Ich darf mich entdecken.“
„Ich muss mein Trauma heilen" - „Ich erkenne mein Trauma als Teil meiner Lebensgeschichte an und schaffe Raum für Frieden."
Hey... und der Satz: "Lasse Deine Gefühle zu. / Ich lasse meine Gefühle zu!"
Ganz wörtlich ist er eine Aufforderung, die Tür ZU zu lassen.
Auch wenn damit etwas anderes gemeint ist, wird ganz wörtlich gesagt: ... lass bitte etwas von Dir ZU. Nicht aufmachen. ZU lassen. Und Deine Gefühle hören gut zu... "Wir sollen ZU bleiben? Okay!"
"Erlauben. Öffnen. Annehmen. Anerkennen. Begrüßen. Sein lassen. Entdecken."
Diese Worte schaffen einen sicheren Raum für Dich und Dein Nervensystem.
Sie schaffen einen Zustand von innerer Akzeptanz und Annahme. Von Neugier und Lust auf sich selbst.
Und auch wenn Du sie Dir vielleicht selber noch nicht glauben kannst und Dir die anderen Sätze gewohnter erscheinen, nutze sie mal für Dich. So werden sie nach und nach ihre Wirkung entfalten.
Sie erinnern Dich daran, dass Du bereits heil bist – mit allem, was Du bist.
Mit all den Facetten des Lebens, die in Dir lebendig sind.
Denn es ist Zeit, ein neues Narrativ zu erschaffen. Eines, das nicht auf Mangel, sondern auf Annahme und Fülle basiert.
Eines das, sagt: „Du bist wundervoll mit Allem, was gerade ist.“
Denn Heilung ist keine To-Do-Liste, die Du abarbeiten musst.
Sie ist kein Ziel, das Du erreichen musst, um irgendwann glücklich zu sein oder liebenswert oder gut genug.
Heilung ist ein Weg der Annahme und Wertschätzung Deiner Selbst.
Und dieser Weg beginnt mit Dir und den Worten, die Du über Dich und Deine Prozesse selbst wählst.
Lass uns gemeinsam das Narrativ von Heilung verändern. Lass uns aufhören, uns selbst als etwas zu betrachten, das „repariert“ werden muss. Lass uns damit aufhören, Heilung als Mittel zum Zweck zu sehen. Lass uns damit aufhören, unsere Wunden und Ängste als Feinde zu betrachten. Lass uns stattdessen Worte wählen, die uns an unsere Kraft erinnern. Lass uns Worte wählen, die uns sein lassen.
Denn Du bist nicht falsch. Du bist nicht kaputt. Du bist nicht hier, um Dich zu optimieren.
Du bist hier, um Du zu sein. Und das ist genug.
Welche Worte verwendest Du ab heute, wenn Du über Dich selbst sprichst?
Wie kannst Du heute Worte wählen, die Dir Raum geben, anstatt Dich zu begrenzen?
Ich freue mich darauf, Deine Perspektive zu hören. Was sind Deine Gedanken dazu?
Fühle Dich eingeladen, mit mir in den Austauschen zu gehen.
Schreibe mir gleich hier!
***Ja, ein interessanter Satz. Diese Formulierung bringt die Dynamik aber prägnant auf den Punkt.
Denn er macht deutlich, dass Kapitalismus nicht nur ein Wirtschaftssystem ist, sondern auch ein kulturelles und psychologisches System. Es greift tief in unsere Selbstwahrnehmung ein und prägt die Art, wie wir über uns selbst, unsere Mängel und unseren Wert denken.
In dem Moment, in dem dieses System auch unsere innersten Prozesse – wie Heilung, Selbstfindung oder Persönlichkeitsentwicklung – für sich vereinnahmt, beginnt die Kommodifizierung unserer Seele. Heilung wird zu einem Produkt, das gekauft, konsumiert und optimiert werden muss, anstatt ein vollkommen natürlicher, lebendiger individueller Prozess des Lebens zu sein.
Und was sind Deine Gedanken dazu?
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